21. September 2010

Also hinein in den Trubel!

Fragen an Helmut Raeder, den künstlerischen Leiter des Internationalen Wandertheaterfestivals Radebeul. 


Beim ersten Weinfest vor 20 Jahren bespielte er selbst noch als Direktor des „Zirkus Luft“ die Bretter, die für den damals fast verfallenen Dorfanger von Altkötzschenbroda die Welt bedeuten. Die Rolle des Direktors hat Helmut Raeder im gewissen Sinne auch heute noch Inne: Er ist als künstlerischer Leiter für das Programm des Internationalen Wandertheaterfestivals verantwortlich. Und somit wenige Tage vor dem Startschuss des Festivals ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um Tipps für das kommende Wochenende geht.

„Viva la Musica“, verspricht das diesjährige Motto – was erwartet uns beim VX. Internationalen Wandertheaterfestival? 
Die Besucher dürfen gespannt sein auf Theaterinszenierungen in denen die Musik eine besondere Bedeutung hat. Das Spektrum reicht von Oper und Operette bis zu Figurentheater mit Musik, Musical und Musikclownerie. Auch Richard von Gigantikow wird sein Labyrinth auf den Elbwiesen in diesem Jahr zum klingen (und blinken) bringen. Hinzu kommen die Inszenierungen der Publikumspreisträger vom vorigem und vorvorigem Jahr (Trukitrek aus Spanien und Habbe & Meik). Beide Truppen pflegen ja mehr die Kunst des mimischen Theaters. Allen die mit Musiktheater nicht so viel am Hut haben sei gesagt, dass ich mich bei der Programmauswahl ganz an die Devise von Mozart „ … ich mach Musick für alle Gattung Leute … ausgenommen für lange Ohren nicht“ gehalten habe. Also bitte keinen Respekt und hinein ins Vergnügen.

Und was gibt es Neues?
Neu ist, dass die Verleihung des Publikumspreises diesmal im Rahmen des Finale Grande auf den Elbwiesen am Sonntagabend, ab 21 Uhr zelebriert wird. Ich empfehle dringend allen das Finale in diesem Jahr zu besuchen. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir dort feiern können. Bekanntlich sind ja die Bauarbeiten am neuen Elbdamm im vollen Gange. Im Moment ist völlig unklar ob der neue Damm wieder als Zuschauerarena genutzt werden kann.

Welche Höhepunkte sind in der 15-jährigen Geschichte des Festivals besonders in Erinnerung geblieben?
Im ersten Jahr die Inszenierung „Ozeanos Satanas“ von der Cie. Jo Bithume aus Frankreich. Wer damals dabei war, wird diese Aufführung wohl nie vergessen. Für mich waren auch die großen Inszenierungen der polnischen Theater „Snow“ und „Biuro Podróży“ unvergesslich. Derevo mit „Once” und die Inszenierungen des italienischen Theaters „Nucleo“ gehören ebenso dazu. Zu meinen persönlichen Sternstunden des Festivals zählen unbedingt auch die Auftritte von Leo Bassi im Hoftheater. Vielleicht klappt es ja, dass Leo Bassi im nächsten Jahr wieder zu uns kommt. Ich hoffe es sehr.

Woher kam eigentlich die fantastische Idee für das Internationale Wandertheaterfestival?
Wandertheatertruppen hatten wir auch schon zu den ersten Weinfesten in Radebeul eingeladen. Darunter waren zum Beispiel auch berühmte Truppen wie das russische Clownstheater „Licedey“. Auch polnische und ukrainische Theater waren zu Gast. Es gehörte von Anfang an zum Konzept der Festes Weingenuss mit Kunstgenuss zu verknüpfen. Das kam bei den Besuchern und den Künstlern auch gut an. Dies hat uns letztlich dazu ermutigt das Thema „Wandertheater“ besonders zu profilieren. Ein Theaterfestival war auch für diversen Kulturförderer eher akzeptabel als ein Weinfest mit Theaterprogramm. Jedenfalls fördert der Freistaat Sachsen unser kleines aber feines Festival seit dem ersten Jahr. 
Übrigens ist es eine alte Idee von mir Weinfest und Wandertheater miteinander zu verbinden. Mitte der achtziger Jahre war ich Programmchef für die Weinfeste in Meißen. Da gab es schon mal diesen konzeptionellen Ansatz. Wir nannten das damals etwas großspurig 1. Straßentheaterfestival der DDR. Meißen hatte und hat  natürlich traumhafte Plätze und Höfe für Theater dieser Art. Wen es interessiert, hier die Theater die damals dabei waren: Theater Zinnober aus Berlin, Theater aus dem Hut aus Leipzig, Puppenspieler Peter Waschinsky aus Berlin, Pantomimentheater Salto Vitale aus Dresden, der Schlangenmann und Fakir Achim Matz. 
Dazu kam noch ein Puppenspieler aus Sachsen dessen Name mir im Moment nicht einfällt. Vielleicht hat er mir seinen Namen auch gar nicht verraten. Dieser, schon etwas ältere Mann zog mit seinem Thespiskarren von Stadt zu Stadt, von Fest zu Fest. Sämtliche Bühnenutensilien und wohl auch seine privaten Sachen hatten auf diesen einachsigen Karren verstaut. Er allein zog diesen Karren nur mit  Hilfe eines Schultergurtes. Wahnsinn! Es gab damals ein sehr schönes Finale am Tuchmachertor. Ich erinnere mich, dass ständig ein Leichenwagen durch die Szenerie fuhr. Das kommunale Bestattungsamt hatte sein Sarglager in der Rosengasse… Die Akteure nutzten diese merkwürdige Situation natürlich für die verrücktesten Improvisationen. Zu später Stunde gab es noch völlig überraschend belegte Brötchen für alle von der gegenüberliegenden Bäckerei. Den einen oder anderen Meißner der damals dabei war, sehe ich immer mal beim Radebeuler Wandertheaterfestival. Das freut natürlich den Festemacher.

Ist es eigentlich schwer, die Theatergruppen aus aller Welt nach Radebeul zu holen?
Solch eine Verbindung von Volksfest und Theaterfestival wie in Radebeul ist eher unüblich. Die Wandertheatertruppen spielen sonst in aller Regel auf „ordentlichen“ Theaterfestivals vor theaterinteressierten Publikum. In Radebeul ist das schon was Anderes. Das Publikum ist bunt gemischt. Da gibt’s die Teenager die gerade noch eine Rund Autoscooter auf dem Rummel gefahren sind und nun mehr oder weniger zufällig in ein Theatervorstellung geraten, da sind die Kinder, die Radebeuler Bildungsbürger, die „einfachen Leute“, die Touristen … die ganze Palette. Und fast jeder hat ein Gläschen Wein dabei. Das ist sehr speziell und eine Herausforderung für jeden Spieler. Viele Theatertruppen lieben diese prickelnde Atmosphäre. Was soll ich sagen: Der Ruf des Wandertheaterfestivals ist – soweit ich das überblicken kann – in der Wandertheaterszene recht gut. 

Die Frage, die natürlich allen Freunden des Wandertheaterfestivals auf den Nägeln brennt: Welche Aufführungen sollte man dieses Jahr nicht verpassen?
Ich würde empfehlen keinen Stress zu machen. Niemand schafft es alle Truppen zu sehen. Jeder sollte sich im Internet auf der Festivalhomepage informieren und dann schon mal ne Vorauswahl treffen. Jeder hat so seine Vorlieben. Was soll ich da empfehlen? Wenn ich auf die Wetterkarte von heute (vier Tage vor dem Festival) gucke kann ich nur empfehlen schon mal die Wintersachen rauszusuchen. Es soll kalt werden am Wochenende. Also hinein in den Trubel mit heißen Herzen und Wein, Theater, Musik und Tanz und Karussell … genießen. Das ist meine Empfehlung.

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